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Vorbereitungswoche für Almut an der Schule

Bereits 12 Tage vor dem Unterrichtsbeginn für die Schüler beginnt für mich die Arbeit an der Schule. Erst treffe ich mich am Donnerstag mit einer Kollegin im Cafe Austria in der Stadt. Dort unterhalten wir uns 3 Stunden lang über das Weltwissenhaus und sie übergibt mir einen dicken Ordner mit vielen Informationen. Da sie die Schule verlässt und nach vier Jahren zurück nach Deutschland geht, übernehme ich ihre Arbeit am „Casa de conocimiento“.

Der Kindergarten an der deutschen Schule scheint pädagogisch schon weiter entwickelt zu sein als die Grundschule. Und so fällt den Kindern verständlicherweise der Übergang von einem tollen Kindergarten in eine Grundschule schwer, wo Frontalunterricht und Lehrervorträge bei 6 Stunden täglichem Unterricht stattfinden. Im Weltwissenhaus haben die künftigen Schulkinder gemeinsam mit den Erstklässlern ein paar Mal im Jahr die Möglichkeit, unter Anleitung frei zu forschen und zu entdecken. So gewöhnen sich die Kindergartenkinder schon ein wenig an die Schule und den Erstklasslehrerinnen soll der Blick über den Tellerrand alternative Unterrichtsmethoden aufzeigen. Ich bringe viele Ideen mit und freue mich darauf, dieses „Casa de conocimiento“ weiterzuentwickeln und zu gestalten.

 

Am Freitag treffen sich die “Neuen“ an der Schule und bekommen einen Tag lang Einblick in das Schulgelände, die Organisation der Schule, den Unterricht DaF (=Deutsch als Fremdsprache) und DFU (= Deutschsprachiger Fachunterricht), denn für diese beiden Fächer sind wir hauptsächlich da. Außerdem bekommen wir Einblick in eine außergewöhnliche Arbeit an der Schule: Petra Wagenknecht hat eine Stelle an der Schule ausschließlich zur Qualitätsverbesserung des Unterrichts. Sie besucht die Lehrer im Unterricht, mal angekündigt, mal überraschend, und berät anschließend über Möglichkeiten der Verbesserung und Unterstützung bei Problemen. All das völlig ohne Wertung und unter völliger Vertrautheit. Das hat also nichts gemein mit den Unterrichtsbesuchen, die wir von Seminarleitern oder Rektoren gewöhnt sind. Es ist als Unterstützung gedacht für die Lehrkräfte und scheint sehr gut aufgenommen zu werden.

 

Dann ist erst mal Wochenende und ich kann kurz ausspannen, bevor es in eine ganze Woche voller Informationen und Workshops mit allen Kollegen geht. Täglich von 8:00 bis 16:00 mit einer kurzen Mittagspause werden wir informiert über Klassenzusammensetzungen, Lehrerteams, die Steuer, die Bund-Länder-Inspektion die im nächsten Jahr ansteht, den Stundenplan, Klassenregeln, den Neubau in vier Jahren, ecuadorianische Schulgesetze, Förderpläne usw. Ich sitze den ganzen Tag in irgendwelchen kalten, dunklen Klassenzimmern oder in der Aula und friere so sehr. Jeden Tag versuche ich mit einer weiteren Schicht Kleidung der Kälte Herr zu werden. Vergeblich!

 

80% des Lehrerkollegiums sind ecuadorianisch, deshalb ist die Verkehrssprache an der Schule auch Spanisch. Anfangs wird noch netterweise für uns Neue übersetzt, doch bereits am dritten Tag geht man davon aus, dass wir entweder alles verstehen oder nachfragen. Wir sind inzwischen so müde von all den neuen Informationen, dass wir oft abschalten und hoffen, dass wir das Wichtigste irgendwie im Laufe des Schuljahres mitbekommen. Ich bin dankbar für die Zeit, die ich vor Ecuador ins Spanisch-Lernen investiert habe, denn so bekomme ich ab und zu doch etwas mit. Nach einem langen Tag und 6 Stunden Zuhören ist es dann aber oft vorbei, das „Geschnatter“ der ecuadorianischen Kolleginnen fließt einfach an mir vorüber.

Stolz bin ich darauf, dass ich mich auf Spanisch vorstellen konnte und mich in einem Workshop gleich zwei mal drei Minuten mit ecuadorianischen Kollegen über pädagogische Themen austauschen konnte. Uff, das ist aber ganz schön anstrengend – und total nervig, dass ich so rumstöpsel und mich nicht gescheit ausdrücken kann!

 

Schon in der Vorbereitungswoche fällt mir ein Phänomen auf, das mir in nächster Zeit wohl noch oft begegnen wird: die Kollegen diskutieren ewig über Dinge, die bestimmt schon 1000 Mal diskutiert worden sind und kommen anscheinend wieder zu keinem besonderen Ergebnis.

Z.B. planen die Erstklasslehrerinnen 1 ½ Stunden lang den ersten Schultag für die neuen Erstklässler, so als hätte es noch nie einen ersten Schultag für neue Erstklässler gegeben. Es wird ewig darüber diskutiert, wo die Schüler wann sitzen sollen, woher denn die vielen kleinen Stühle kommen könnten, und wie man die Schüler am Besten in ihre Klassen aufteilt. Hallo? Das ist doch jedes Jahr dasselbe???

Z.B. unterhalten sich die Kollegen über Klassenregeln und nach einstündiger Diskussion einigt man sich auf allgemeingültige Regeln wie „Ich melde mich, wenn ich etwas sagen will.“ oder „Ich höre anderen zu.“ Das sind echt sensationell revolutionäre Regeln! Das weiß bei uns schon jedes Kindergartenkind?!? (Leider zeigt sich in der Unterrichtspraxis inzwischen, dass noch nicht einmal die Drittklässler diese Regeln verinnerlicht haben...)

Z.B. wird zum x-ten Mal über das Stiehle-Diplom diskutiert, wieder einmal (wie anscheinend schon oft vorher) ohne Ergebnis. Der Schulleiter will die Deutschkenntnisse der einheimischen Kollegen fördern und hat in Aussicht gestellt, dass diese, wenn sie Deutsch lernen und B1 bestanden haben, 350$ mehr Gehalt pro Monat bekommen. Das ist eine große finanzielle Anregung, doch die Kollegen sehen erst einmal die große Summe, die der Deutsch-Kurs sie kostet, bevor sie B1 erreicht haben. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, bietet die Schule sogar eine Art Kredit an, doch irgendwie scheint die Rechnung wieder nicht aufzugehen.

 

Der Donnerstag der Woche steht unter dem Zeichen der Klassenteams. Jede Klasse trifft sich mit allen unterrichtenden Lehrern und einem beratenden Schulpsychologen (an der Schule gibt es ein Team aus vier festangestellten Psychologen) und spricht eine dreiviertel Stunde lang die schwierigen Schüler durch. Wie sich rausstellt, finden sich in jeder Klasse mindestens 3 bis 6 schwierige Schüler, die von Autismus über Hyperaktivität bis hin zu Verhaltensauffälligkeiten alles mögliche aufweisen. Jeder Schüler hat einen besonderen Förderplan, der von allen unterrichtenden Lehrkräften beachtet werden muss. Viel lieber wäre ich unvoreingenommen in die Klassen gegangen, doch nun sind mir die Namen wie Matias Coral, Matias Olmedo und Matias Encalada schon bekannt. (Alle schwierigen Kinder hier scheinen Matias zu heißen...) Es ist interessant zu beobachten, dass die Lehrkräfte die Tipps und Hilfestellungen aus den Förderplänen begierig aufsaugen. Mir fällt auf, dass für fast jedes Kind die gleichen Fördermaßnahmen gelten – egal, welche Schwierigkeiten da sind: reizarme Umgebung; Reduzierung der Aufgabenmenge und – schwierigkeit; Sicherstellen dass das Kind sich an seine Aufgaben macht und dabeibleibt... Interessant, dass das für alle Schwierigkeiten funktionieren soll? Ich bin mal gespannt, wie die Wirklichkeit in den Klassen dann aussehen wird.

 

Die anstrengende Woche ist am Freitag Mittag geschafft, und ich bin es auch! Ich freue mich aufs Wochenende, ein bisschen Erholung und darauf, dass es endlich losgeht...

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